Interview Wagner - Sterben von Handwerksberufen
Foto: Martin Schutt

Interview in der Augsburger Allgemeinen mit Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der HWK Schwaben"Es droht ein Sterben von Handwerksbetrieben"

Ulrich Wagner hat früh vor dem Fachkräftemangel gewarnt. Der Hauptgeschäftsführer der HWK Schwaben wurde von einem CSU-Mann aber nicht ernst genommen. 





Herr Wagner, der Fachkräftemangel im Handwerk ist immens. Jeder merkt das, wenn er eine Handwerkerin oder einen Handwerker sucht. Woran liegt das?

Ulrich Wagner: Dass der Fachkräftemangel immer dramatischer wird, liegt vor allem an der demografischen Entwicklung, deren Auswirkungen sich jetzt immer fataler zeigen: Es gehen mehr Leute in den Ruhestand als jüngere Menschen ins Berufsleben nachrücken.



Doch dass man heute oft keinen Handwerker findet, kann man doch nicht nur auf die demografische Entwicklung abschieben.

Wagner: Der heutige Handwerker-Mangel ist auch das Resultat einer historischen Fehlentscheidung. Und die liegt etwa 20 Jahre zurück. Damals wurde das Ideal ausgerufen, dass möglichst viele jungen Menschen Akademikerinnen und Akademiker werden sollen, also studieren sollen. Das führte über die Jahre hinweg zu einer immer krasseren Überakademisierung Deutschlands. So galt bald die Devise: Je mehr Studierende umso besser. Dabei wurde die duale Ausbildung, also die Mischung aus Lehre im Betrieb und Berufsschule, leichtsinnig an den Rand gedrängt. Jetzt ist Druck auf dem Kessel. Überall fehlen Fachkräfte, ob Elektriker, Heizungsbauer, Metzger oder Bäcker.



Im Landtagswahlkampf hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder den Braten gerochen und erfüllt lang gehegte Wünsche des Handwerks.

Wagner: Herr Söder macht erste Schritte in die richtige Richtung: So hat er angekündigt, dass die Meisterausbildung kostenlos werden soll. Das ist überfällig. Es geht doch nicht an, dass der Master im Studium kostenlos ist, der Meister jedoch nicht. Wir begrüßen es auch, dass die Staatsregierung einen Tag des Handwerks für alle weiterführenden Schulen zur Pflicht gemacht hat. So sollen die Schülerinnen und Schüler verpflichtend einen Tag mit den Berufen und sehr guten Aufstiegsmöglichkeiten im Handwerk in Kontakt kommen. Auch dieser Schritt ist überfällig. Jetzt können wir auch in den Gymnasien für unsere Berufe werben. Denn eine Lehre ist der beste Einstieg ins Berufsleben und danach stehen alle Wege offen. Die Chancen, einen Betrieb im Handwerk zu übernehmen und sich selbstständig zu machen, sind größer denn je.



All diese Schritte fallen der Staatsregierung spät ein. Der Fachkräftemangel im Handwerk ist schließlich schon lange dramatisch.

Wagner: Praktiker und Umsetzer fehlen schon lange. Wenn wir nicht bald umsteuern, ist auch die Energiewende gefährdet. Wer soll denn die Häuser dämmen und Wärmepumpen wie Solar-Anlagen einbauen, wenn nicht das Handwerk. Doch gerade in diesen Bereichen werden Fachkräfte immer knapper. Insofern ist das Handwerk für Deutschland systemrelevant, schließlich gilt es, die Energieversorgung der Zukunft zu sichern.

Wagner Ulrich

Wer hat denn vor 20 Jahren die Bildungsweichen in Deutschland falsch gestellt?

Wagner: Die Bildungs-Fehlentwicklung nahm 2004 mit einer OECD-Studie an Fahrt auf. Damals lag Deutschland, was die Studienanfänger betrifft, im hinteren Drittel der Industrie-Staaten. Das Land wurde als Bildungsabsteiger gebrandmarkt auch weil man die Meisterausbildung fälschlicherweise gar nicht berücksichtigt hatte – und das mit fatalen Konsequenzen. Nun wurde kräftig die Werbe-Trommel für das Studieren gerührt und die duale Ausbildung in den Hintergrund gedrängt. In Deutschland brach also ein Aktionismus aus, um den Rückstand bei den Studentinnen und Studenten aufzuholen – und dies, obwohl längst bekannt war, wie sich die demografische Entwicklung einmal auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Was fatal war: Die Ausbildungszahlen waren in den Jahren um 2004 noch gut. Wir haben über Bedarf ausgebildet. Am Ende hat die Industrie bei uns gute Kräfte abgeschöpft.



Die Verantwortlichen wähnten sich also auf der sicheren Bildungsseite.

Wagner: Und das war so gefährlich. Denn zunächst ging alles noch einige Jahre gut. Es wählten genügend Jugendliche einen Handwerksberuf. Doch dann setzte etwa ab 2010 ein schleichender Prozess ein. Die Lage kippte schließlich ab 2018, als erstmals mehr Studenten in den Hochschulen eingeschrieben waren, als es Auszubildende gab. Von nun an zog es immer weniger Jugendliche in das Handwerk, dafür immer mehr an die Universitäten. Das ist die historische Erklärung für den heutigen Handwerker-Mangel. An dieser Enzwicklung ist auch die Politik schuld. Dort fand man es zunächst großartig, dass mehr Jugendliche studieren und schuf mit Milliardensummen ein riesiges, inzwischen unüberschaubares Angebot an Hochschulen und Universitäten.



Und welchen Anteil haben Eltern an der Überakademisierung?

Wagner: Natürlich sind auch Eltern mitverantwortlich für die Überakademisierung – das aber aus verständlichen Gründen. Eltern wünschen sich schließlich, dass es ihren Kindern einmal gut geht. Das ist nicht verwerflich. Doch fragwürdig ist es schon, dass Kinder schon in der dritten Klasse Nachhilfe-Unterricht bekommen, damit sie nur ja den Übertritt ins Gymnasium schaffen, obwohl sie mit ihren Neigungen und Fähigkeiten im Handwerk eine tolle Zukunft haben könnten.



Sie haben schon vor zehn Jahren vor den Folgen der Überakademisierung gewarnt.

Wagner: Doch entsprechende Warnungen seitens des Handwerks wurden zu dieser Zeit kaum gehört und waren auch nicht erwünscht. Der damalige bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle hat auf unsere Warnungen nicht gehört, ja wollte sie nicht hören. Damals haben wir schon vergeblich gefordert, dass wir Schülerinnen und Schülern in Gymnasien zeigen dürfen, wie interessant Handwerksberufe sind. So ein Tag der beruflichen Bildung wurde uns jedoch noch verwehrt. Als wir im Kultusministerium in der Sache vorstellig wurden, hat man uns mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt. Es herrschte großes Unverständnis darüber, warum wir ausgerechnet im Gymnasium für Handwerksberufe werben wollen. Es war mir klar: Das läuft alles in eine völlig falsche Richtung.

Wie lange dauert es, um diese falsch gestellten Bildungs-Weichen umzustellen? Wann gibt es wieder genügend Handwerker?

Wagner: Das kann zehn Jahre dauern. Eine Ausbildung dauert schließlich drei Jahre. Bis die jungen Menschen dann den Meistertitel erworben haben, können sechs, sieben Jahre ins Land gehen. Bis diese Nachwuchskräfte eine leitende Funktion haben oder sich selbstständig machen, vergehen am Ende zehn Jahre. Das ist also ein mühsamer Prozess, bis unser Bildungswesen wieder im Gleichgewicht ist. Wer jetzt ins Handwerk geht, dem bieten sich enorme Karriere-Chancen. Im Handwerk fehlen heute – je nach Berechnung - bundesweit 250.000 bis 400.000 Fachkräfte. Allein um die Klimawende zu stemmen, braucht man in Deutschland aber rund 400.000 Experten – und dabei viele Handwerker.

 

Doch so schnell ist keine Entspannung in Sicht. Wie ernst ist die Lage in Deutschland?

Wagner: Es wird überall immer dramatischere Personal-Engpässe geben – und das nicht nur bei der Klimawende. Schließlich brauchen wir auch ausgebildete Handwerker, ob sie die Hörgeräte herstellen, gesunde Lebensmittel oder Wohnungen für eine immer älter werdende Gesellschaft barrierefrei ausbauen. Und der Bau dringend benötigter Wohnungen und Häuser droht weiter zu stocken. Auch die Industrie bekommt zunehmend ein Problem, weil sie in hohem Maße auf Handwerker angewiesen ist. Und weil es zu wenige Handwerker gibt, finden viele Betriebe keinen Nachfolger und werden dicht gemacht. Wir haben allein in Schwaben 4000 Betriebe, deren Inhaber 60 Jahre und älter sind. In den vergangen zehn Jahren haben wir im Kammerbereich fünf bis zehn Prozent der Ausbildungsbetriebe verloren.

Droht ein Sterben von Handwerksbetrieben?

Wagner: Ja, es droht ein Sterben von Handwerksbetrieben, wie wir es in den vergangenen sechs, sieben Jahre schon bei Metzgereien und Bäckereien erlebt haben. So treiben wir die Menschen dazu, noch mehr bei Discountern einzukaufen. Mit dem Sterben von Handwerksbetrieben geht ein Stück Kultur, die Vielfalt der Produkte und die Nahversorgung verloren. Letztlich verlieren wir durch den Nachwuchsmangel auch Berufszweige. So besteht die Gefahr, dass traditionelle Handwerke wie das des Kirchenmalers oder der Goldschmiede auf Dauer verschwinden. Und wenn es immer weniger handwerkliche Textilreiniger gibt, gibt es am Ende nur noch Konzerne, die die Preise bestimmen. Oder nehmen wir hoch spezialisierte Galvaniseure. Wenn solche Betriebe wegen Nachwuchsmangels aufhören, wird es gefährlich für die Industrie. Dann fehlen den in unserer Region so zahlreichen Großmolkereien Edelstahlrohre und -Behälter, ohne die sie nicht produzieren können. Wenn solche kleinen, hoch spezialisierten Handwerker keine Nachfolger finden, ist der Industriestandort Deutschland gefährdet. Denn Produkte in dieser Qualität sind auf den Weltmärkten schwer zu beschaffen.



Muss dann das Handwerk jungen Menschen nicht deutlich besser bezahlen, um sie für sich zu gewinnen?

Wagner: Die Löhne steigen doch längst.



Sie hinken vielfach aber immer noch hinter der Industrie deutlich hinterher.

Wagner: Doch das Handwerk holt hier auf. Früher haben Auszubildene in einer Metzgerei 450 Euro im Monat bekommen, inzwischen sind es 1000 Euro. Und generell gilt für das Handwerk: Heute sagt ein guter Facharbeiter seiner Chefin oder seinem Chef, was er verdienen will, damit er bleibt. Da überlegt sich ein Unternehmer zwei Mal, ob er den Forderungen nachkommt oder nicht. Denn er hat keinen anderen Beschäftigten zur Verfügung, der den Job machen kann. Die Löhne im Handwerk steigen heute, zum Teil sogar auf Industrie-Niveau. Doch zu teuer dürfen unsere Produkte nicht werden, sonst kaufen sie die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht mehr. Da steckt das Handwerk in einer Zwickmühle.



Das Handwerk muss aber gerade auch Frauen entgegenkommen, um mehr Fachkräfte zu finden.

Wagner: Das tun wir auch. Das Handwerk bietet immer mehr flexible Arbeitszeiten an. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in unseren kleinen und mittelständischen Betrieben oft leichter erreichbar als in großen Unternehmen. Die ersten unserer Betriebe, darunter auch Bäcker in Schwaben, probieren beispielsweise schon die Viertage-Woche aus. Wir passen uns an.

Interview: Stefan Stahl

Schneider Sascha_web

Sascha Schneider

Siebentischstraße 52 - 58

86161 Augsburg

Tel. 0821 3259-1220

Fax 0821 3259-1207

sascha.schneider--at--hwk-schwaben.de